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26.09.2022

Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen: Unzulässige Umgehung der BFH-Rechtsprechung

Die Verwaltungsakte im Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen der sachlich unzuständigen Agentur für Arbeit Recklinghausen – Familienkasse Inkasso sind auch dann rechtswidrig, wenn sie von dieser unter dem Briefkopf der zuständigen Familienkasse erlassen werden. Dies stellt das Finanzgericht (FG) Niedersachsen klar.

Schon seit mehreren Jahren werde im Verfahren über die Erhebung von Kindergeld, also insbesondere bei Entscheidungen über dessen Stundung und Erlass, der zentral bei der Agentur für Arbeit Recklinghausen eingerichtete so genannte Inkassoservice tätig. Der Bundesfinanzhof habe jedoch inzwischen in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung entschieden, dass diese Behörde mangels entsprechender gesetzlicher Regelung hierfür sachlich unzuständig ist (BFH, Urteile vom 25.02.2021, III R 36/19; Urteil vom 07.04.2022, III R 33/20), so das FG. Dennoch scheine dieser "Inkassoservice" – wie das FG Niedersachsen jetzt herausgefunden hat – auch nach Ergehen dieser Entscheidungen weiterhin tätig zu werden – allerdings nicht im eigenen Namen, sondern verdeckt unter dem Briefkopf der eigentlich zuständigen örtlichen Familienkasse. Dass diese Umgehung der Rechtsprechung des BFH rechtswidrig ist und eine – wie die beklagte Familienkasse vorträgt – lediglich "virtuelle" Abordnung nicht den Zuständigkeitsanforderungen genügt, hat das FG Niedersachsen nun klargestellt.

Eine solche "virtuelle" Abordnung von Bediensteten einer Behörde an die eigentlich gesamtzuständige örtliche Familienkasse sei unbeachtlich, da sie nicht die Maßstäbe einer rechtsstaatlichen Verwaltungsorganisation erfüllt. Das Demokratieprinzip erfordere eine klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten und verbiete das Tätigwerden einer anderen Behörde unter dem Briefkopf der materiell zuständigen Behörde. Nach Auffassung des FG ist es trotz entsprechender technischer Möglichkeiten weiterhin erforderlich, dass die gesetzlich zuständige Behörde mit eigenem Personal tätig werde. Es bestehe, so das FG, im Rahmen des Verwaltungsrechts auch keine Befugnis einer Behörde, eine andere Behörde generell für ein Tätigkeitsfeld – wie etwa im Zivilrecht – "zu beauftragen" und im Außenverhältnis für sie als "Vertreter" tätig zu werden, da weder eine gesetzliche Vertretungsbefugnis vorhanden, noch eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis mangels gesetzlicher Grundlage verfassungsrechtlich legitimiert sei.

Finanzgericht Niedersachsen, Gerichtsbescheid vom 16.08.2022, 3 K 113/22, rechtskräftig